Wie geht es jungen Zugewanderten mit einer Behinderung? Wer bietet Integrationskurse für gehörlose Geflüchtete? Diese Fragen standen im Mittelpunkt beim dritten Netzwerkkongress Inklud:Mi.
Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk e. V. in Dortmund hatte zu dem Kongress eingeladen. In der Pressemitteilung heißt es:
„Wir brauchen eine bundesweite Vernetzung und einen engen Austausch“, lautete der Ruf auf dem dritten Netzwerkkongress Inklud:Mi, zu dem das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk e. V. in Dortmund am Mittwoch, 5. Juli, in Dortmunder Dietrich-Keuning- Haus eingeladen hatte. Die besonders schutzbedürftige Zielgruppe der Zugewanderten mit Behinderung werde an vielen Stellen im deutschen Hilfesystem noch immer nicht mitgedacht. Spezielle Hilfsangebote und Best-Practice-Modelle müssten unter Fachkräften und Ehrenamtlichen besser bekannt gemacht werden.
Sorgfalt, Zeit und Hintergrundwissen
„Die Arbeit mit der sehr heterogenen Gruppen der Zugewanderten mit Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen erfordert eine besondere Sorgfalt, Zeit und ein differenziertes kultursensibles Hintergrundwissen“, zog Hildegard Azimi-Boedecker, Leiterin des Fachbereichs Beruf international und Migration im IBB e. V. am Ende des Kongresses Bilanz.
In seinem Grußwort ermutigte Michael Taranczewski, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt Dortmund, auch immer wieder politische Forderungen zu formulieren. „Als Vorsitzender des Sozialausschusses kann ich nur betonen, dass Ratsmitglieder für aktuelle Informationen dankbar sind.“
Flüchtlinge mit einer Behinderung profitieren nicht von Integrationsangeboten
Dr. Susanne Schwalgin von Handicap International e.V. in Berlin berichtete über eine aktuell noch laufende Bedarfsanalyse unter Zugewanderten in Berlin, Brandenburg und Bayern. „Was besonders alarmierend ist: Flüchtlinge mit einer Behinderung profitieren nicht von Integrationsangeboten“, sagte Dr. Schwalgin. Geeignete und passende Unterstützungsangebote ließen sich häufig nur mit großem personellen Aufwand finden. „Wir können das aber nicht für jeden leisten.“
Die Familientherapeutin Cornelia Kaiser-Kauczor aus Essen widmete sich besonders der Situation von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte und warb für eine kultursensible Differentialdiagnostik. „Sprachbarrieren, traumatische Fluchterfahrungen, fehlendes Vertrauen und falsche Vorinformationen über das deutsche Hilfssystem können die Kommunikation zwischen Zugewanderten und Fachkräften erschweren und zu Fehldiagnosen führen, die ganze Lebensläufe verändern“, so Kaiser-Kauczor. Ihr Fazit: „Wir brauchen Strukturen, die uns die Arbeit leichter machen.“
Best-Practice-Beispiele rückten in der Workshop-Arbeit am Nachmittag in den Mittelpunkt. Die Lebenshilfe e.V. in Dortmund stellte ihre neue kultursensible Beratungsstelle vor. Seit April 2017 stehen zwei Mitarbeiterinnen speziell für Fragen von Zugewanderten mit Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung zur Verfügung. Die Diakonie Michaelshoven bietet einmal wöchentlich so genannte Workshops für Sehbehinderte, Blinde und geistig behinderte Zugewanderte an. Ziel sei es, zunächst einmal Bedarfe zu ermitteln.
Gehörlose Geflüchtete oft regelrecht unsichtbar
Auf die kaum beachtete Gruppe der gehörlosen Geflüchteten lenkte schließlich Christine Tschuschner, Flüchtlingsbeauftragte des Landesverbandes der Gehörlosen NRW, den Blick: „Gehörlose fühlen sich nicht als Behinderte, sondern sind stolz auf das, was sie erreicht haben“, sagte sie in Gebärdensprache. In den Notunterkünften seien die gehörlosen Zugewanderten häufig lange Zeit unauffällig und daher regelrecht unsichtbar. Der Landesverband NRW betreue im Rahmen des Projekts „Deaf Refugees Welcome“ zurzeit 100 gehörlose Geflüchtete. Bundesweit seien 900 gehörlose Geflüchtete bekannt.Integrationskurse für Hörende können Gehörlose jedoch nicht nutzen. Sie brauchen stattdessen spezielle Sprachkurse, wie sie die Sprachschule Heesch aus Düsseldorf an mehreren Standorten anbietet, die ihre Dienstleistung vorstellte.
„Ziel unserer Netzwerktreffen ist es, vorhandene Hilfsangebote für die unterschiedlichen Bedarfe untereinander bekannt zu machen, Lücken im Hilfenetz zu erkennen und auch neue Angebote in möglichst breiter Kooperation zu entwickeln“, sagte Hildegard Azimi-Boedecker vom IBB e.V.. Genau diese Vernetzung war von den beiden Bundesbeauftragten für Behinderung bzw. Integration, Verena Bentele und Aydan Özoğuz, unlängst gefordert worden.
Über das Projekt Inklud:Mi:
Die unterschiedlichen Netzwerkaktivitäten in Dortmund und darüber hinaus sind entstanden aus dem Projekt [Inklud:Mi] – Inklusion von Migranten und Migrantinnen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung, das vom IBB in den Jahren 2014 und 2015 umgesetzt worden ist. Dazu gehörten Fachfortbildungen zur kultursensiblen Arbeit und Veranstaltungen zur Vernetzung von Organisationen, die in diesem Arbeitsgebiet tätig sind.
Über das IBB Dortmund:
Grenzen überwinden – das ist der Leitgedanke des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Dortmund seit seiner Gründung in 1986. Dabei geht es nicht nur um Ländergrenzen, sondern auch um die Grenzen im eigenen Wissen und Verstehen. In jährlich mehr als 100 Studienfahrten, Trainings und Jugendbegegnungen ist das „Lernen aus der Vergangenheit für eine gemeinsame Zukunft in Europa“ zentral. Belarus bildet dabei einen besonderen Schwerpunkt. In Minsk baute das IBB Dortmund zusammen mit belarussischen Partnern die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“, in der heute regelmäßig etwa 1000 Veranstaltungen pro Jahr stattfinden. Weitere Informationen unter www.ibb-d.de.