„Ein Patenamt ist ein Dienst am Menschen“
Interview mit Bettina Bielefeld, Patenschafts-Koordinatorin beim „Projekt Ankommen“
Paten begleiten geflüchtete Menschen – und werden oft zu ihren wichtigsten Ansprechpartnern, sowohl bei alltäglichen Fragen als auch bei Notfällen. Bettina Bielefeld ist die Patenschafts-Koordinatorin beim „Projekt Ankommen“ und selbst eine engagierte Patin. Im Interview berichtet sie, wieviel Zeit man mitbringen sollte, was die wichtigsten Aufgaben sind und warum sie sich engagiert.
Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für ein Patenamt?
Man sollte sich im Leben hier einigermaßen zurechtfinden und wirklich den Wunsch haben zu helfen – das sind die wichtigsten Voraussetzungen. Den Rest schafft man in der Regel mit dem gesunden Menschenverstand. Flüchtlinge werden an vielen Stellen mit den gleichen Problemen konfrontiert wie wir: Da kommt ein Brief von einer Behörde, jemand will einem eine Versicherung aufschwatzen… Oft geht es darum, wie man in solchen Situationen reagiert. Das Wort eines Paten hat dann für die Geflüchteten ein ziemliches Gewicht.
Wieviel Zeit muss man als Patin bzw. Pate mitbringen?
Zwei bis drei Stunden pro Woche braucht man, um Vertrauen aufzubauen bzw. den Kontakt zu halten. Je nach individueller Situation finden wir eine passende Lösung: Wenn jemand zum Beispiel nur nachmittags Zeit hat, organisieren wir eine Begleitung für die Behördengänge am Vormittag.
Womit sollte man sich beschäftigen, bevor man ein Patenamt übernimmt?
Wichtig ist, sich klar zu machen, dass die Menschen aus einem ganz anderen Kulturkreis kommen und einiges an ihrem Verhalten möglicherweise fremd erscheint. Außerdem haben sie schreckliche Erfahrungen gemacht. Manchmal werden die Geflüchteten von Heimweh übermannt oder fallen in ein tiefes Loch, obwohl man meint, sie müssten doch glücklich sein, weil sie zum Beispiel jetzt eine Wohnung haben. Ein Patenamt ist wirklich ein Dienst am Menschen, der manchmal anspruchsvoll ist. Es gibt auch frustrierende Situationen in denen man denkt: Jetzt habe ich alles gemacht – aber der will das gar nicht! Den Balanceakt hinzubekommen, zu helfen, aber auf Augenhöhe zu agieren, ist entscheidend.
Ein Pate ist eben ein Begleiter, kein Vormund?
Genau, es geht um Unterstützung, nicht Bevormundung. Anfangs hat der Geflüchtete, den ich begleite, mich ständig gefragt: Was würdest Du machen? Das hat mich ganz fertig gemacht, weil vor mir ja ein Erwachsener sitzt, der seine eigenen Entscheidungen treffen soll. Ich versuche dann immer, viele Möglichkeiten aufzuzeigen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und die Menschen auf ihrem Weg zu mündigen Bürgern zu begleiten.
Was ist anfangs das Wichtigste für die Geflüchteten?
Sicherlich erst einmal, eine Wohnung zu finden und Möbel zu haben. Und vor allem praktische Hilfe, also die Begleitung bei Behördengängen oder die Hilfe beim Ausfüllen von Formularen. Es geht um die Bewältigung des Alltags.
Was kann man als Patin bzw. Pate tun, wenn man sich selbst von dem Behördendschungel überwältigt fühlt?
Hilfe suchen und Fragen stellen. Man ist als Patin bzw. Pate kein Superheld: Wir vom „Projekt Ankommen“ geben Ratschläge, aber es gibt auch städtische Beratungsstellen oder die Möglichkeit, erfahrenere Paten zu fragen. Das ist gerade mit Blick auf das Thema der Familienzusammenführung oder bei Problemen im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus sehr wichtig. Beides gehört zu den größten Sorgen der Geflüchteten – dabei zu helfen, ist insbesondere für neue Paten aber unmöglich, zumal ein kleiner Fehler zu großen Problemen führen kann. Jenseits der Beratungsangebote bieten wir regelmäßig Paten-Stammtische an, bei denen man sich austauschen und erklären lassen kann, wie andere mit Problemen umgehen. Außerdem gibt es bei „Projekt Ankommen“ die Möglichkeit, Schulungen zu besuchen, falls man tiefer in die Materie einsteigen will.
Was ist, wenn es Probleme gibt oder man keine Zeit mehr hat?
Es kann immer mal passieren, dass man menschlich nicht miteinander klarkommt, sich die eigene Lebenssituation verändert oder man sich überfordert fühlt. Dann sollte man klar kommunizieren und Bescheid geben. Selbst wenn man sich von dem Patenamt verabschiedet, ist das, was man bis dahin geleistet hat, ja nicht verloren.
Apropos: Was bringt es aus Ihrer Sicht, Patin zu sein?
Ich persönlich bin engagierte Christin und ziehe allein schon aus meinem Glauben die Motivation – Jesus selbst war ja ein Flüchtling. Aber allgemein gesprochen erweitert es den eigenen Horizont sehr. Man lernt andere Kulturen kennen, in denen der Familienzusammenhalt noch sehr viel stärker ist als bei uns. Ganz schnell wird man als Schwester oder Mutter angesprochen. Es gibt Frust und Schwierigkeiten, aber immer wieder auch Erfolgserlebnisse und sehr schöne Augenblicke: die ganze Bandbreite des Lebens eben. Für mich war es schon wunderbar, als der Geflüchtete, den ich unterstütze, einen Deutschkurs besuchen konnte und mich plötzlich am Telefon mit „Hallo Bettina, wie geht es Dir?“ begrüßte.