Er hatte ja keine Ahnung, sagt einer, dass er sich mal so viel mit Grammatik auseinandersetzen würde. Physik, Mathematik, die Naturwissenschaften hätten in der Familie immer eine Rolle gespielt. Aber Sprachelernen? Das sei Neuland. Nomen, Verben, Zeiten, die deutsche Sprache ist schwer. Und hat dabei ihre durchaus unterhaltsamen Besonderheiten. Jedes Nomen hat auch ein Verb, sagt ein anderer in der Runde, lacht und beginnt, Beispiele zu suchen: Wasser – wässern, bewässern; Tisch – tischlern; Augen – beäugen, lange Augen machen, ein Auge auf etwas werfen, liebäugeln, schöne Augen machen; heiter springt das Gespräch von Begriff zu Begriff. Garten – gärtnern. Baum – bäumen? Aufbäumen. Gesicht – gesichtern? Nein. Sichten? Gesicht zeigen und Gesicht verlieren.
Und plötzlich sind wir mitten drin in einem Gespräch über Politik – wandelt sich das Gespräch von einer Unterhaltung über Sprache zu einer Diskussion übers Sprechen, Meinung kundtun, Haltung beziehen. Am Samstag sei eine Demonstration für die Menschen im syrischen Idlib, sagt einer in der Runde, ob wir alle hingehen? Macht es einen Unterschied, ob man hingeht, fragt ein anderer? Die große Politik ändere es nicht. Aber es wird gesehen, berichtet, hofft ein dritter in der Runde – und Bilder davon könnten Mut machen, vielleicht den Weg finden auch zu Menschen in Idlib, die auf diese Weise merken, sie sind nicht allein. Es hilft dem eigenen Gefühl, nichts ändern zu können, sagt wieder einer in der Runde – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten nicht untätig geblieben zu sein.
Sprechen ist wichtig fürs Zusammenleben
Hier könne man sagen und zeigen, wenn man nicht einverstanden ist. Keine Selbstverständlichkeit. Und Geschichten von Menschen, von Kindern sogar, die gefoltert, gequält, getötet wurden für eine Meinung, die nicht die herrschende war, werden als Belege erzählt. Was würdet IHR denn tun, geht die Frage an diejenigen in der Runde, die solches Grausen nie selbst aus der Nähe erleben mussten.
Und deutlich wird, wie wichtig das Sprechen ist, auch das sichtbare Sprechen in der Öffentlichkeit. Meinungsfreiheit als kostbar und schützenswert zu begreifen, auch hier, auch bei uns, wo sie viel zu oft viel zu selbstverständlich genommen wird. Und sie deshalb auch zu nutzen, gegen eine (laut-)starke Rechte zum Beispiel. Ohne Gewalt. Das Reden über Politik nicht allein Politikern zu überlassen. Und nicht denen, die extrem sind, die ausgrenzen, und spalten.