Ein Beitrag von Bashir und Anne
Asylsuchende aus nur noch zwei Ländern gelten seit dem 1. August 2019 als Menschen mit „guter Bleibeperspektive“: jene, die aus Syrien und aus Eritrea nach Deutschland gekommen sind. Damit ist für deutlich weniger Menschen ein schneller Zugang zu Integrationskursen und dem damit verbundenen Deutschlernen möglich. Dabei liegt hier ein wichtiger Schlüssel zum Ankommen in der Gesellschaft: eigentlich sollte es doch jedem Menschen möglich sein, Zugang zum Sprachelernen zu erhalten, und sich so möglichst schnell eine eigenständige Grundlage für das Leben hier zu schaffen.
Für Farhad war das so. Er ist aus dem Iran und 2015 nach Deutschland gekommen. Farhad wünscht sich, schnell in der Gesellschaft anzukommen, er träumt davon, seinen Beruf als Installateur auszuüben und hier zu arbeiten. Doch er merkt, dass das nicht leicht ist: „Es ist alles umgekehrt, ich darf weder arbeiten noch einen Deutschkurs besuchen“, sagt Farhad.
Für den 34-jährigen Farhad ist die Sprache alles. „Ohne die deutsche Sprache ist man in diesem Land fast nichts. Man hat keine Anerkennung und zieht sich von der Gesellschaft zurück. Ich habe mich wegen politischen und religiösen Gründen im Iran täglich diskriminiert gefühlt. Aber leider fühle ich es seit vier Jahren in Deutschland auch. Ich bin wie Gefangener im Heim, darf nicht eine andere Stadt besuchen, weil ich Duldung habe, ich darf nicht arbeiten, kann nicht in meine Heimat zurück und es ist alles richtig schiefgelaufen.“
So wie Farhad geht es vielen der Menschen, die hier Asyl beantragen. Sie stolpern über eine Regelung, die seit 2015 darüber entscheidet, wie die Unterstützung und Hilfe für Asylsuchende in Deutschland verteilt werden: Die „Bleibeperspektive“ ist ein Konstrukt, mit dem in der Politik in Deutschland seit 2015 darüber entschieden wird, welche unterstützenden Hilfen und Maßnahmen asylsuchenden Menschen gewährt werden. Eine „gute Bleibeperspektive“ mit der Aussicht auf einen „rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt“ wurde etwa mit dem Asylpaket I zur Voraussetzung für die Teilnahme an Integrationskursen schon während des Asylverfahrens gemacht; asylsuchenden Menschen aus Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia wurde diese „gute“ Perspektive bisher bescheinigt. Auch Hilfen und Unterstützung auf dem Weg in eine Arbeit werden von der Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf eine vermeintlich „gute“ oder „schlechte“ Bleibeperspektive gewährt oder verweigert.
Auch Menschen aus vielen anderen Herkunftsländern wird in Deutschland Schutz gewährt. Sie müssen allerdings den Ausgang ihres Asylverfahrens abwarten, bevor sie Zugang zu Integrationskursen erhalten. Seit dem 1. August sind das nun noch mehr Menschen.
Die Wartezeit kann dauern – je nach Herkunftsland kann das sehr unterschiedlich sein. Farhad sagt: „Diese Wartezeit ist zu viel. Ich bin hoffnungslos, depressiv und habe gar keine Perspektive mehr. Wir sind in einem Heim mit 150 Euro monatlich. 50 Euro muss ich meinem Anwalt geben, 20 Euro kostet das Internet. Fast 30 Euro kosten meine Tickets monatlich, weil ich zur Ausländerbehörde und zum Jobcenter gehen muss. Manchmal muss ich etwas für einen Übersetzer bezahlen. Es bleibt mir ungefähr 50 für Klamotten und die wichtigen Dinge, die man braucht.“
Pro Asyl hat schon früh darauf hingewiesen, wieso diese Unterscheidung nach Bleibeperspektive der Realität der Menschen nicht gerecht wird. Denn entschieden wird nicht bezogen auf die individuelle Situation, sondern pauschal nach Herkunftsland. Betrachtet wird dafür die Schutzquote: die Summe aller anerkennenden Bescheide, in Bezug gesetzt zur Gesamtzahl der getroffenen Entscheidungen. Liegt diese Quote oberhalb 50 Prozent wird daraus eine „gute Bleibeperspektive“ gefolgert, liegt sie darunter, wird von einer „schlechten Bleibeperspektive“ gesprochen. Mit eingerechnet sind dabei allerdings alle Anträge, die überhaupt nicht inhaltlich geprüft wurden, sondern die „formell erledigt“ wurden – etwa, weil die Prüfung des Asylantrags von einem anderen Staat übernommen werden muss, oder der Antrag zurückgezogen wurde. Im vergangenen Jahr waren das fast ein Drittel aller Anträge. So entstehen Zahlen, die nicht mehr unbedingt Auskunft darüber geben, ob die asylsuchenden Menschen Fluchtgründe hatten und haben oder nicht.
Und für einen Großteil der hier neu angekommenen Menschen entsteht Hoffnunglosigkeit. Für sie bedeuten die Regeln, dass sie „zwischen den Stühlen“ landen – in ihr Herkunftsland können sie nicht zurückkehren; hier jedoch wird ihnen das Ankommen auch nicht leichtgemacht. Sie sind zur Untätigkeit gezwungen, können nicht Lernen, obwohl sie das wollen, können nicht arbeiten, obwohl sie das wollen – „alle Türen sind zu“. Farhad sagt: „Ich habe mir früher überlegt, dass ich in Deutschland meinen Beruf weitermachen kann, weil es hier viel Bedarf dafür gibt. Aber das ist nicht so. Manche Deutsche sind sauer, dass wir nicht arbeiten. Aber sie können unsere Situation nicht verstehen. Wir sind wie in einem Knast und können und dürfen nichts machen. Wir haben hier doch auch Grundrechte. Ich denke, wir sollten mindestens die Sprache lernen können, um unsere Probleme Deutschen sagen zu können. Ich dachte, dass ich mindestens arbeiten darf, auch ehrenamtlich, um ein bisschen die Sprache zu lernen. Aber das dürfen wir auch nicht.“
Wenn man die Sprache nicht lernt, dann kann man nicht kommunizieren – Menschen wie Farhad erfahren das täglich. „Man kann mit niemandem reden. Es gibt Missverständnisse und Unverständnis. Daraus entstehen weitere Probleme. Integration kann nicht funktionieren.“ Dabei wäre das so wichtig. Denn der Weg geht ja noch viel weiter – weit über das Ende eines Asylverfahrens hinaus. Beide Seiten müssten auf diesem Weg gemeinsam gehen, sich aufeinander zu bewegen. So wie Mohammad das erlebt hat, als er nach der Zeit in der Unterkunft seine erste Wohnung in Dortmund beziehen konnte. Zurückhaltend bis misstrauisch seien seine Nachbarn ihm zunächst begegnet, erzählt der junge Syrer. Und er betont, wie sehr das Sprechenkönnen für ihn diese Situation verändert hat – mit freundlichem Grüßen und dem ein oder anderen Plausch mit den Nachbarn auf halber Treppe im Hausflur.
Egal, ob Menschen auf Dauer bleiben können und wollen in diesem Land: es ist wichtig und richtig, ihnen die Möglichkeit zur Eigenständigkeit zu geben, indem ihnen der Zugang zum Sprachelernen gegeben ist. Regelungen sind hochkomplex; bei der Volkshochschule der Stadt Dortmund werden alle Sprachbildungsangebote für Neuzugewanderte seit mehreren Jahren in einer Übersicht zusammengefasst und aktuell gehalten. In einer interaktiven Sprachkurs-Suche sind diese Angebote auch mehrsprachig zugänglich. Zusätzlich sind stadtweit eine Vielzahl an Beratungsstellen, wie etwa die Migrationsberatungsstellen und Lokal willkommen wichtige Anlaufstellen für neu angekommene Menschen bei der Suche nach einer für sie passenden Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen.
Mit dem Sprachelernen wird die Basis gelegt, um wirklich hier anzukommen, zu verstehen und verstanden zu werden, Freunde zu finden, ein Teil der Gesellschaft zu werden, mit allem was dazugehört – Geben und Nehmen. Farhad sagt: „Ich muss leider sagen, dass ich hier seit Jahren überlebe und nicht lebe. Wir leben in einem Land, in dem der Mensch seine Rechte hat, aber manche Migranten wie ich haben nichts.“ Eine Vielzahl an Engagement ist stadtweit mittlerweile gewachsen, das in großen Teilen allen Menschen offenstehen und so auch solchem Erleben etwas entgegensetzen möchte – vielfach ehrenamtlich organisiertes Sprachelernen in Sprachcafés gehört dazu, Unterstützung und Beratung dabei, sich hier den Weg in eine Arbeit zu erschließen, oder auch ein Katalog der Tätigkeiten für freiwilliges Engagement in verschiedensten Bereichen.